Angekommen in der Dunkelheit nimmt sich der Körper zumeist erst einmal den Schlaf, den er im Alltag nicht bekommt. Durch die erhöhte Melatonin-Produktion sind die meisten Teilnehmer 2-3 Tage lang müde und schlafen viel. In diesen Tagen gewöhnt man sich auch an die praktischen Dinge, wie z.B. bei völliger Dunkelheit Zähneputzen, Duschen und Essen.
Während dieser Zeit nimmt man meistens Reize von außen, z.B. Geräusche, noch stark wahr. Das Gehirn ist hypersensibel und versucht, an Informationen heran zu kommen. Doch langsam wendet sich der Blick nach innen. Auch beginnen wir in dieser Zeit mit den ersten Sessions im Dunkeln.
Kennenlernen und Vertrauen finden
Zunächst einmal geht es darum, dass wir einander kennenlernen und Vertrauen zueinander aufbauen. Die Dunkeltherapie bietet ein enormes Potential, doch dieses lässt sich nur in einer offenen, vertrauensvollen Atmosphäre voll ausschöpfen. Dann können Gedanken und Gefühle völlig frei und spontan geteilt werden – ohne Angst vor einer kritischen Beurteilung durch das Gegenüber.
Eintauchen in die Struktur des eigenen Seins
Ein solches Kennenlernen geht weit über ein „normales“, d.h. oberflächliches Kennenlernen hinaus: Mich interessieren dabei weniger die äußeren Persönlichkeitsmerkmale meines Klienten, sondern vielmehr seine tieferen inneren Strukturen und Muster. In der Dunkeltherapie geht es nicht darum, einen Überblick über Vorlieben und Probleme zu erhalten, sondern um das Erkennen von Gedanken- und Verhaltensmustern.
Intensive Selbsterfahrung
Ab Tag 4-5 beginnt die intensive Selbsterfahrung. Erinnerungen, Vorstellungen und Träume fangen an, ineinander zu fließen und intensiver zu werden. Emotionen werden stärker und manchmal tritt Langeweile und Frustration auf. Dies hilft dabei, weitere Muster zu erkennen und aufzulösen. Das Tages-Bewusstsein tritt langsam in den Hintergrund und Alltagsgedanken verschwinden. Die Sessions werden intensiver. Die Gespräche sind geprägt von der Stille, die Raum lässt für Bilder und Emotionen.
Wechsel zwischen Detail- und Vogelperspektive
In der scheinbaren Strukturlosigkeit der Dunkelheit geht es darum, sowohl in die Tiefe einzelner Erfahrungen und Strukturen einzutauchen, als auch darum, diese gleichsam aus der Vogelperspektive zu betrachten. Man kann sich das so vorstellen: Normale Gesprächstherapie bewegt sich größtenteils nur am Baumstamm entlang auf und ab. Vorrangiges Ziel der Dunkeltherapie ist es hingegen, ganz oben auf die Baumkrone zu klettern und zugleich auch zu den kleinsten Verästelungen der Wurzeln vorzudringen.
Magische Transformation
Ab Tag 6 intensiviert sich der Prozess meistens noch einmal. Bei vielen Teilnehmern findet pro Tag ein Wechsel der Wahrnehmung statt – manchmal auch schneller, sogar stundenweise. Einmal scheint die Zeit zu rennen, dann wieder fließt sie unglaublich zäh vor sich hin. Einmal scheint der Kopf ganz leer – dann wieder wird man von Gedanken, Bildern und Gefühlen überströmt. Viele Teilnehmer kommen in dieser Zeit in Kontakt mit ihrer eigenen inneren Stimme. Das Unterbewusstsein fängt an, in Worten oder Bildern zu kommunizieren. Manchmal ist es nicht ganz einfach, zu unterscheiden, was „echt“ ist. Die Sessions richten sich in dieser Phase darauf aus, ganz bewusst und intensiv wahrzunehmen. Zusätzlich zeige ich fortgeschrittene Techniken dazu, bewusst mit unbewussten Mustern und Strukturen zu arbeiten.
Der Weg ans Licht
Irgendwann ist die Zeit dazu gekommen, wieder ans Licht zu gehen. Dies ist ein wunderbarer Moment, der sich für viele Teilnehmer anfühlt wie eine neue Geburt. Carl Gustav Jung sagt:
Wir sehen die Welt nicht so wie sie ist, sondern wie wir sind.
Und so sehen wir dieselben Blumen, Bäume und Menschen – nehmen diese aber ganz anders wahr, weil die innere Transformation in der Dunkelheit Spuren hinterlassen hat. Vielleicht kennen Sie dieses Gefühl vom Meer: Zunächst erscheint das Wasser kalt. Hat man sich einmal an die Temperatur gewöhnt, so ist es angenehm. Erst wenn man wieder zurück an den Strand kommt und der Wind auf den nassen Körper weht, merkt man, wie angenehm warm das Wasser doch war. Ähnlich ist es mit der Dunkelheit: Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, den Fokus nach innen zu richten, so erscheint die lichte Welt im Außen fast wild und schnell. Was vorher trivial war, wirkt faszinierend. Der Flug einer Biene kann die Aufmerksamkeit für Minuten fesseln – ein Blütenblatt kann so viel Schönheit in sich tragen, dass es zu Tränen rührt.
Die Dunkelheit bringt einen „Reset“ der Wahrnehmung mit sich. Manche finden schnell wieder zurück zur „normalen“ Wahrnehmung – bei manchen Teilnehmern allerdings bleiben veränderte Wahrnehmung / Zauber / Glanz / Schönheit noch monatelang erhalten. Mit dem Schritt aus der Dunkelheit zum Licht endet auch die Dunkelerfahrung und beginnt die Integration.